Für die Deutsche Tourenwagenmeisterschaft 1996, inzwischen in den Status „International Touring Car Championship“ erhoben, engagierte Alfa Romeo vier Fahrer :
Christian Danner, Nicola Larini, Alessandro Nannini und Giancarlo Fisichella.
Zwar hatte man im ersten Jahr der Teilnahme 1993 mit dem Titelgewinn in der Marken- sowie der Fahrerwertung für Nicola Larini einen fulminanten Einstand gefeiert,
danach jedoch gingen die Pokale an Mercedes. Obwohl Alfa aus Marketinggründen dringend Motorsporterfolge brauchte, blieb das FIAT-Management skeptisch dem teuren Engagement gegenüber, zumal sich
hartnäckig Gerüchte hielten, die Organisatoren der DTM/ITC begünstigten die deutschen Hersteller.
Gegen diese Widerstände planten der zum FIAT-Motorsportchef ernannte, ex-Ferrari-Ingenieur Pier Guido Castelli, Rennleiter Giorgio Pianta, Motoreningenieur D‘Agostino und Gesamtprojektleiter Ing.
Sergio Limone für 1996 eine grundlegende Evolution des Alfa 155 Ti V6, Projekt-Code „Abarth SE065“.
In Zusammenarbeit mit Dallara wurden Chassis und Aerodynamik komplett neu konzipiert. Der Allradantrieb wurde neu ausgelegt mit elektronisch geregeltem
Zentraldifferential, das eine Kraftverteilung zwischen 35-40% vorn entsprechend 65-60% hinten erlaubte, sowie Sperrdifferentialen an Vorder- und Hinterachse. Schließlich wurden Feinheiten in der
Fahrzeugbalance umgesetzt, unter anderem durch einen neuen, nahe an die Hinterachse verschobenen Tank. Hydraulisch gesteuerte Flaps an den vorderen Radläufen verbesserten in geschlossenem Zustand
die Aerodynamik und sorgten geöffnet für eine optimierte Kühlung der Brembo-Bremsanlage bei gleichzeitig mehr Anpressdruck auf der Vorderachse.
Das elektro-hydraulische sequentielle-Sechsganggetriebe kam von XTrac aus Großbritannien und erhielt eine von Alfa selbst entwickelte Hydraulik. Es rückte von der
Fahrzeugmitte zur besseren Gewichtsverteilung direkt an das Vorderachsdifferential. Dreiecksquerlenker mit Push-Rod Feder-Dämpfer-Einheiten bildeten die Radaufhängungen, wobei der Motor als
tragendes Element in die Vorderachskonstruktion integriert war. Als Bereifung kam die Dimension 245/645-18er auf 18×9.5 Zoll Felgen zum Einsatz.
Die Motorelektronik wurde von Magneti-Marelli programmiert, das ABS von Bosch beigesteuert. Zusammen mit der Getriebesteuerung verfügt das Fahrzeug somit über drei
elektronische Zentraleinheiten. Für den Motor schrieb das Reglement vor, daß Zylinderbankwinkel und Bohrungs-Maß einem Serientriebwerk zu entsprechen hätten. Diese Klausel führte zu permanente
Diskussionen und Protesten wegen angeblicher Regelverstöße. Alfa verwendete Triebwerke, die auf dem nach Ing. Giuseppe Busso sogenannten „Busso-V6“ basierten.
Die Serienversion mit 60° Zylinderbankwinkel fand sich seit der Alfa 6 Limousine in fast allen Alfa-Nord Modellen. Allerdings war der Motor 1995 am Ende seiner Entwicklungsmöglichkeiten als Rennaggregat. Es mußte dringend ein gewichtsoptimierter und gleichzeitig leistungsfähigerer Motor her. Nachdrücklich zeigte sich dies zu Beginn der Saison 1996, als Mercedes und Opel im Training wie im Rennen den Ton angaben. Ohne offizielle Genehmigung des Konzern-Managements, zunächst quasi im Geheimen, entwickelten die Ingenieure Limone und D‘Agostino einen V6 Motor mit nun 90°-Zylinderbankwinkel, Projekt-Name „690RC“.
Anfang September 1996, ab dem Nürburgring-Rennen, bescherte diese völlige Neukonstruktion Alfa eine fulminante Siegesserie: außer beim Lauf auf dem Hockenheimring im
Oktober stand der 155Ti ansonsten stets auf Pole-Position und gewann sieben von zwölf verbliebenen Wertungsläufen.
Alessandro Nannini näherte sich dem Meisterschaftsführenden bis auf den dritten Platz, leider zu spät, denn der Titel ging an Manuel Reuter auf Opel Calibra. In der
Markenwertung lag Alfa schließlich nur 6 Punkte hinter Opel. Giancarlo Fisichella wurde sechster der Fahrerwertung. Es brachen heftige Diskussionen los, ob Alfa’s neuer Motor Reglements konform
sei: im Sinne des FIAT-Managements, das schließlich sein Placet gegeben hatte, basierte der 90° Motor auf dem Serientriebwerk, das sich als Kooperation mit Peugeot, Renault und Volvo in diversen
Fahrzeugen der Konzerne wieder fand.
Die italienische Fachzeitschrift „Autosprint“ machte jedoch öffentlich, es handele sich um ein vom Alfa Romeo Montreal abgeleitetes Konzept. Der Montreal-Motor
stammte wiederum ursprünglich aus dem Sport-Prototypen Alfa 33 und war ein Achtzylinder. Der Streit erübrigte sich, denn das FIAT-Management erklärte am Ende des Jahres 1996 den totalen Rückzug
vom Motorsport.
Somit blieb in der langen Motorsport-Tradition der Mailänder der jetzt von der Scuderia GT betreute Alfa 155 Ti V6 ITC der vorläufig letzte offiziell von Alfa Romeo
eingesetzte Rennwagen!
Giancarlo Fisichella erreichte mit diesem Exemplar jeweils 2. Plätze in Estoril, Magny-Cours und Suzuka. Das Fahrzeug befindet sich noch immer im Originalzustand des letzten Laufes der Saison `96 in Suzuka, Japan, den Christian Danner mit einem identischen Alfa überlegen für sich entschied.
Dieser 155 Ti verfügt über den 2.500ccm 90° V6, dessen Leistung mit 490 PS bei 11‘500/min bis 11‘800/min angegeben wurde (Drehzahl-Limit laut Reglement 12‘000/min).
Das maximale Drehmoment liegt bei 32,4 kgm, das Gewicht des Motors bei ca. 96 kg. Nur sechs Fahrgestelle sind durch Alfa-Corse gebaut worden : eines, nicht numeriert, diente zu Testzwecken vor
Saisonbeginn. Vier Chassis wurden für die vier Werksfahrer aufgebaut und dem Einsatzteam „FIAT Auto Corse TV-Spielfilm“ unter Einsatzleiter Ninni Russo anvertraut. Nachdem das Fahrzeug von
Christian Danner im Juni in Helsinki durch ein Feuer des Hydrauliksystems komplett zerstört worden war, mußte ein weiteres Ersatz-Chassis gebaut werden.
Die Faszination der aufwendigen Technik, wenn das Triebwerk von Fahrgestell-Nummer „Abarth SE065-003“ mit infernalischem Sound zum Leben erwacht, ist noch immer ungebrochen. Zuvor wird die Kühlmittel-Temperatur mit einem externen Boiler auf ca. 55° erwärmt, die pneumatische Ventilsteuerung mit ausreichend Stickstoff-Druck beaufschlagt. Dann externe Batterie anschließen und Startknopf drücken, schon feuert der Motor sein Belcanto aus dem armdicken Endrohr. Die sensible, wegen der in der ITC üblichen fliegenden Starts sehr klein und leicht ausgelegte Karbon-Rennkupplung möglichst nicht überfordern, und schon sind in knapp über 2 Sekunden 100 km/h überschritten. Je nach Endübersetzung sind bis zu 300 km/h möglich. Dabei zeigt der Alfa 155 Ti unglaubliche Traktion aus Kurven heraus und brutales Bremsvermögen, gepaart mit eiserner Bremsstabilität.
Für den begeisterten Kunden der Scuderia GT ein maximaler Fahrspaß, so wie einst für Giancarlo Fisichella !